Reden ohne Skript

(Kommentare: 0)

Eine gute Rede ohne Skript ist besser als eine gute Rede mit Skript. Frei und prägnant vor Leuten sprechen zu können, bleibt mein Ziel für alle meine Predigten, Vorträge und Beiträge. Warum? Es geht beim Reden um mehr als um reine Wissensvermittlung. Ich will bewegen, verändern, herausfordern, ermutigen. Ich will Emotionen erzeugen. Die Zuhörer sollen bewegt aus einem Vortrag herausgehen. Ich wollte immer, dass in unseren Gottesdiensten wenigstens einmal gelacht und einmal geschluckt wurde! Wenn ich dieses Ziel habe, dann schränkt es mich massiv ein, wenn ich immer wieder auf ein Skript schauen muss. Es bremst den Redefluß. Es stört den Blickkontakt zum Zuhörer. Es bindet mich an einen Ort. Ich bleibe an ein Rednerpult gefesselt. Kurz: ein Skript macht mich schlichtweg unflexibler!

Copyright Christian Rommert

Doch Vorsicht!

Eine schlechte Rede ohne Skript ist immer schlechter als eine schlechte Rede mit Skript. Ein Redner, der ins Plaudern gerät, planlos von Hölzchen auf Stöckchen kommt, ist so ziemlich das Letzte, das ich erleben will, wenn ich mich in einen Vortrag setze. Dann lieber jemand, der sich Gedanken gemacht hat und alles vom Blatt abließt.

Freies Reden trainieren

Das Ziel bleibt also die gute, durchdachte, kreative, schlüssige, informative, herausfordernde, freie Rede. Wie erreiche ich das? Drei Dinge werden hier zum Schlüssel:

  1. Klare Struktur
  2. Vorher im Kopf ausformulieren
  3. Übung macht den Meister

Klare Struktur

Egal, ob ich frei spreche oder vom Skript: um eine gute Rede zu halten, brauche ich eine klare, nachvollziehbare Struktur. Wie genau ich zu eben dieser komme, habe ich im Artikel Reden, ohne zu langweilen beschrieben. Für die freie Rede ist die klare Struktur unerlässiglich. Sie bildet das Gerüst in meinem Kopf. Ich muss wissen, über welche Zwischenschritte ich zum Ziel gelange. Dabei muss ich nicht immer auf die klassische Dreipunkterede zurückgreifen. Auch ein narrativer Bibeltext bildet eine Struktur. Die Folien einer Powerpointpräsention können mir meine Struktur vorgeben. Oder aber ich nutze drei Gegenstände, die mich an meine Zwischenschritte erinnern. In jedem Fall brauche ich für meinen Kopf einen Weg, den ich gedanklich nachlaufen kann. Der Einstieg: Geschichte XY als Hinführung zum Thema, dann Zuspitzung auf die Fragestellung des Vortrages und Übergang zu meinen drei Punkten, schließlich Schlußsequenz mit meinem Wachrüttler, Aufforderung und Ende.

Vorher im Kopf ausformulieren

Eine freie Rede ist nicht dasselbe wie eine spontane Rede. In der Regel habe ich einige Tage Vorbereitungszeit. Ein wesentlicher Schritt meiner Vorbereitung ist die Zielformulierung. Ein weiterer das Ausformulieren. Das geschieht bei mir bei der freien Rede nicht auf dem Papier, sondern zu 100% im Kopf. Ich nutze mein Weg zur Arbeit, wenn ich Rad fahre, die Zeit vor dem Einschlafen und formuliere. Manchmal schreibe ich mir einzelne Verben oder Satzverbindungen auf, die sonst verloren gehen würden. Aber das ist die Ausnahme. In jedem Fall brauche ich ca. zwei bis drei Stunden Ruhe und Einsamkeit vor dem eigentlichen Vortrag. Die Zeit nutze ich, um zu duschen, mich fertig zu machen, mich zu focussieren und um wenigsten einmal die Rede für mich allein zu halten.

Übung macht den Meister

Der Schritt von der Rede mit Skript zur freien Rede war für mich gewaltig. Ich hatte eine Predigt bei einer unserer großen Jugendveranstaltungen vor ca. 1500 Leuten zugesagt. Für sie nahm ich mir vor: dort sprichst Du frei. Vorher hatte ich mir angewöhnt, Predigteinladungen in kleineren Gemeinden anzunehmen. Dort hielt ich konsequent Predigten, die ich in meiner Kirchengemeinde schon einmal gehalten hatte. Ich war im Thema und ließ das Skript weg. Anfangs nutzte ich als Zwischenschritt Notizzettel, auf denen ich vor allem den Einstieg, die Zwischenüberschriften und dann darunter Verben notierte. Wie ein guter Notizzettel auszusehen hat, habe ich im Artikel “Das perfekte Skript” beschrieben. Manchmal hielt ich die gleiche Predigt an drei verschiedenen Orten: einmal mit auformuliertem Text, einmal mit Notizzettel, einmal frei. Vor allem bei Vorträgen mit Powerpoints merkte ich, dass ich – wenn ich im Thema sicher war – locker mehrere Stunden frei reden konnte. Das motivierte mich, es auch bei Predigten zu versuchen. Wenn ich drei Mal die gleiche Predigt hielt, gab mir das die Sicherheit, freier reden zu können und gleichzeitig motivierte mich der Erfolg. In dem Jahr vor meiner ersten freien Rede vor den Jugendlichen legte ich mir bewusst Veranstaltungen, in denen ich trainieren wollte: ich sprach frei bei zwei kleineren Veranstaltungen mit bis zu zweihundert Leuten und einen Monat vorher, zwang mich zu einem Vortrag vor einem schwierigen Publikum mit 500 Anwesenden und nutzte schließlich die Gelegenheit zur freien Rede bei einer Veranstaltung mit ca. eintausend Leuten. Dabei variierten die Zeiten oder die Zuschauerzahlen, so dass ich das Gefühl hatte: die Herausforderung heute ist, dass ich das erste Mal frei vor so vielen Leuten spreche, auch wenn es nur zehn Minuten sind. Oder: heute spreche ich das erste Mal einen gesamten Vortrag frei – zum Glück sind es nur 100 Leute. Dieses Trainingsprogramm gab mir schließlich die Sicherheit, die ich brauchte. Und für meine erste freie Rede vor so vielen Leuten, fand ich das alles gar nicht so schlecht.

Next Steps