Nicht Effizienz, sondern Selbstwerdung

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Ein Gespräch mit Frater Joseph über Leitungskunst aus benediktinischer Sicht.

Copyright: Christian Rommert

“Der Abt genießt die höchste Autorität im Kloster!”, sagt Bruder Josef, “Aber ein weiser Abt wird eine Entscheidung nie treffen, ohne im Gespräch mit allen Beteiligten herausgefunden zu haben, was das Richtige ist.” Wir sind im Kloster Nütschau und tagen dort im Rahmen unserer jährlichen Geschäftsführerklausur. Noch 17 Benediktinermönchen leben hier und Frater Josef ist gebeten, uns etwas über das Thema Leitungskunst aus benediktinischer Sicht zu erzählen.

“Der Abt ist als Leiter des Konventes in erster Linie ein Hörender.” erklärt der ursprünglich reformierte Ostfriese. Auch nach 24 Jahren im Kloster vertraut er darauf, der rechte Abt wird zu keinem Zeitpunkt die ihm übertragene Macht und die Verpflichtung der Brüder zum Gehorsam ausnutzen. Gehorsam kommt von gehorchen. Und das Gehorchen kann nur dem gelingen, der hinhört und dem anderen zuhört. Es sind das Gespräch miteinander und die gemeinsame Meditation des Problems in der Gegenwart durch das Abt und Mönche herausfinden, was das Richtige ist. Noch einmal betont Frater Joseph: “Der Abt hat Macht. Aber er gebraucht die Macht, um der Gemeinschaft zu dienen.” Wir bohren nach und erfahren: wichtige Entscheidungen werden in der Regel dem gesamten Konvent vorgelegt. Nicht ganz so wichtige Entscheidungen werden im von den Brüdern gewählten Seniorrat beraten und nach reifer Überlegung und Beratung kommt der Abt dann schließlich zu der richtigen Entscheidungen. Und noch einmal sagt Joseph: “Die Entscheidung ist nicht etwa das, was der Abt persönlich für richtig hält, sondern das, was man gemeinsam für das Richtige hält.”

Solch ein Umgang mit Problemen ist sehr zeitintensiv, darum sei es notwendig, delegieren zu können. “Doch Delegieren heißt nicht, ich schleiche mich aus der Verantwortung!”, betont Frater Joseph, “Und die Tatsache, dass etwas an mich delegiert wurde, bedeutet auch nicht, ich wäre nun ein zweiter Abt. In allem bleiben die Brüder dem Abt untergeordnet.” Das bringt Frater Joseph zu der seiner Ansicht nach wichtigsten Aufgabe des Abtes: “Die Aufgabe des Abtes besteht darin, die Mitte für Christus freizuhalten.” Bei allem, was es zu tun gibt, besteht die Hauptverantwortung des Abtes darin, dass er sagt: “Stopp, es gibt eine Mitte, das Wichtigste ist Christus.” Nicht – wie können wir mehr werden, sondern das wirklich Wesentliche ist: Christus. Den Raum für Christus freihalten.

Copyright Christian Rommert

Ich wende ein, dass der Zeitfaktor wahrscheinlich der entscheidende Unterschied zwischen dem klösterlichen und meinem Alltag ist. Bruder Josef entgegnet, dass er der tiefen Überzeugung ist, dass die Kirchen wieder eine neue Entscheidung dafür brauchen, einen anderen Weg zu gehen. Wenn wir alle so handeln wie alle anderen – nur mit dem Mantel der Christlichkeit darüber, dann werden wir untergehen. Er provoziert und sagt, er würde lieber den christusgemäßen Weg gehen und an Macht verlieren, als Macht behalten und die Mitte verlieren. Und dann sagt er viele Dinge, die einen Pastor einer Freikirche nachdenklich machen müssen: Als Kirche geht es nicht um Zahlen. Ob ich zehn oder einen im Gottesdienst habe, ist doch egal! Wir haben Gottesdienst, das ist das, was zählt! Wir bauen Reich Gottes! Immer mehr Leistung, immer mehr Effektivität, immer mehr dies und immer mehr jenes! “Es wird irgendwann nicht mehr gehen!” prophezeit er uns, “Und dann gehen wir als Kirchen mit all den anderen unter!” Jetzt läuft er sich warm und sagt: “Die Kirche ist verkommen als ein Dienstleister für gesellschaftliche Riten und schöne Lebensfeste! Aber das ist nicht unsere Aufgabe!” Weil sich dadurch Aufmerksamkeit erzielen lässt. Weil es hierfür noch einen Markt gibt. Doch wir sollten bedenken, dass es immer Institutionen geben wird, die konkurrenzfähiger, effizienter, stärker sind als wir. Irgendwann werden wir verlieren. Es sei denn unsere Stärke bleibt die Liebe Gottes. Diese Liebe Gottes muss im Alltag und damit auch im Umgang zwischen Chef und Mitarbeiter spürbar sein, sonst riskieren wir nicht weniger als unsere Daseinsberechtigung. Er wird noch einmal konkreter: “Irgendwann war es unsere Aufgabe als Kirchen, Krankenhäuser zu bauen. Aber das ist inzwischen so tief in der Gesellschaft angekommen, dass andere diese Aufgabe gut übernehmen können.” Im Hinblick auf unsere diakonischen Werke widersprechen wir zaghaft. “Ja, ziehen sie sich meinetwegen nicht aus der Diakonie zurück. Aber stellen sie sich immer wieder die Frage: Was ist heute unsere Aufgabe? Wo werden wir in dieser Gesellschaft mit unseren Wertvorstellungen gebraucht?” Frater Joseph ist es wichtig, uns deutlich zu machen: wir brauchen nicht etwas am Leben erhalten, das im Reich Gottes nicht mehr gebraucht wird. Und dann beobachten wir etwas Schönes: hinter dem Haus fließt ein kleiner Bach und es gibt eine kleine Brücke. Sie ist seit Monaten gesperrt, doch schon den ganzen Tag beobachten wir, wie die Brüder über das Absperrband einfach hinübersteigen. “Sehen sie die Brücke?”, fragt uns Frater Joseph, “Sie trägt noch! Sie erfüllt noch ihre Funktion. Auch wenn ein Schild davor steht. Doch irgendwann stürzt sie ein. Dann suchen wir etwas Neues, das trägt! Finden sie heraus, was bei Ihnen noch trägt. Und dann wählen sie den Weg und bauen sie eine neue Brücke!